Abiturrede 2000

Anlässlich der Abiturfeier 2000 des Finsterwalder-Gymnasiums Rosenheim führten Dominik Brodowski und Christian Schweda die folgende Abiturrede am 30.06.2000 im KuKo Rosenheim auf.

 

Dominik Brodowski aufs Podium - kurz zuvor Einschalten der Handys.

[D.B.] Meine sehr verehrten Damen und Herren, Liebe Mitkollegiaten, ich fühle mich geehrt, Ihnen heute kurz zusammengefasst einige Kommentare ...

Dominik B.'s Handy klingelt nach Anruf durch Christian S.
Dominik B. zum Publikum

[D.B.] Oh, Entschuldigung...

Dominik B. kramt sein Handy aus seinem Sakko heraus und hebt ab

[D.B.] Hallo?

Christian S. antwortet leise im Publikum: "Christian Schweda!"

[D.B.] Ja Hallo Christian! Schön, dass Du anrufst. Was gibt's denn?

[C.S.] Ach, nichts besonderes, ich wollte nur noch ein paar Details wegen dem Abiball klären...

Dominik B. fällt ihm ins Wort

[D.B.] Du, Christian, wie wäre es denn, könntest Du mir hier schnell mal auf der Bühne helfen?

[C.S.] Ja, OK, ich schau' gleich mal vorbei!

[D.B.] bis gleich...

Dominik B. zum Publikum

[D.B.] einen Moment noch, ich bekomme gleich Verstärkung...

Christian S. aufs Podium - AUSSCHALTEN DER HANDYS

[C.S.] Hallo Dominik!

[D.B.] Hallo Christian. Du, ich habe da ein Problem - Hast Du irgendeine gute Idee, was man bei einer Abiturrede sagen könnte?

[C.S.] Hm, irgendetwas über uns.

Ungläubiger Blick von Dominik B.:

[C.S.] ... über die Schüler halt.

[D.B.] Die Schüler? Kann man die wirklich in einen Topf werfen? Ich glaube nicht - das zeigt sich schon an den Abifahrten. Wie viele gab es da eigentlich?

Christian S. zählt seine Finger...

[C.S.] Viele! Wir haben aber trotzdem zusammengehalten: Wenn ein paar von uns beim Weißbierfrühstück in der Fischküch' waren, hat sie keiner verraten!

[D.B.] Ja mei, des war aber nicht gerade aus Menschenfreundlichkeit, sondern nur, um selber bei taktischem Fehlen nicht verpfiffen zu werden...

[C.S.] Als ob Du das beurteilen könntest...

[D.B.] Na ja, ich geb' Dir ja recht, bei den Wandertagen waren wir uns ja immer einig ... Grillen am Happinger Au-See und so...

[C.S.] Siehst Du. Aber die Schüler sind nicht das einzige Thema! Und auch diese andere Spezies an unserer Schule war ein Kapitel für sich...

[D.B.] Du meinst die Lehrer, oder? Die haben sich doch alle jahrelang abgemüht, um uns aufs Abitur vorzubereiten...und das war für die aber auch nicht leicht.

[C.S.] Insbesondere weil die Jahre immer mehr und - bei einigen zumindest - der Idealismus immer weniger geworden ist.

Kommentar zum Publikum

[C.S.] Obwohl an dem Gerücht, das an anderen Gymnasien die Runde macht, nichts dran ist: Der Privatlehrer Karls des Großen unterrichtet nicht mehr an seiner Schule. Seine Fächer Mittelhochdeutsch und Minnesang sind aus dem Lehrplan gestrichen worden.

[D.B.] Eine der großartigen Errungenschaften im Zuge der letzten Lehrplanreform. Wie auch der Fortbestand des Kurssystems, durch das jeder Schüler individuell gefördert wird und nur das lernt, was er glaubt, für sich und sein Leben zu brauchen.

[C.S.] Für das Leben - schön und recht - spätestens an der Bushaltestelle muss man genauso verwirrende Pläne verstehen wie anfangs der 12ten. Aber "individuell"? Wie viele Fächer konntest Du denn eigentlich frei wählen?

[D.B.] Ja, aber das bayerische Schulsystem ist doch gerade auf die Allgemeinbildung und die breite Studierfähigkeit ausgerichtet. Dafür braucht man halt mal Deutsch, Geschichte und Religion. Für unsere Abiturienten und ihre Vielseitigkeit werden wir doch vom ganzen Rest Deutschlands beneidet!

[C.S.] Und für ihre absolute Praxisferne bemitleidet man uns. Sei mal ehrlich: Wir haben kaum praktische Versuche gemacht, und die Projekttage waren wohl auch nicht mehr als ein Feigenblatt!

[D.B.] Na ja, bei der hohen Stundenzahl der Lehrer und der teilweise schlechten Ausstattung der Schule ist das ja auch kein Wunder...

[C.S.] Und an wem liegt das? Edmund Stoiber. Er hat an uns Millenniums-Abiturienten hohe Anforderungen gestellt, da dürfen wir an unseren Millenniums-Ministerpräsidenten die Forderung nach mehr Geld für die Schule stellen.

[D.B.] Aber die Milleniums-Ebbe in der Staatskasse ... die gibt's auch bei Heide Simonis...

[C.S.] Und selbst wenn Geld da wäre - das ginge bei Herrn Stoiber doch direkt an sein Ignaz...

[D.B.] Moment mal. Das ist ja alles schön und gut, aber Du solltest mir eigentlich bei der Abiturrede helfen!

[C.S.] Tu ich das denn nicht?

[D.B.] Ich glaube nicht - du politisierst. Sei doch nur einmal so diplomatisch wie unser Herr Brandl!

[C.S.] Das wird wohl schwer. Er hat wie kein Zweiter unsere Schule repräsentiert und geprägt .

[D.B.] Und mehr noch - er hat auch uns geprägt.

[C.S.] ... und das trotz seines Akzents.

[D.B.] Zurück zur Schule, Schweda. Es gibt da noch ein Thema, was bisher völlig außen vor geblieben ist: Schule und Gesellschaft.

[C.S.] Ein gutes Thema. Wir haben jetzt - zumindest fast - unser "Zeugnis der Reife" in Händen und werden in die Gesellschaft hinausgeschickt. Aber was ist das für eine Gesellschaft dort draußen? Was sind die Vorbilder, an denen wir uns orientieren können? Was sind die Werte, an die wir uns noch halten können? Gibt es überhaupt noch Werte?

[D.B.] Gab es nicht dazu einmal ein Paper in Religion?

[C.S.] Äh, nee, in der Stunde hab' ich gefehlt....

[D.B.] Soviel zum taktischen Fehlen...
Aber dann mal von vorne: Leben wir in einer Anarchie, Schweda?

[C.S.] Äh, hm, eigentlich nicht, wieso?

[D.B.] Also gibt es doch immerhin den Wert der Rechtsstaatlichkeit in unserer Gesellschaft. Und schau' Dir doch einfach mal generell das heutige Deutschland an: Ist das nicht seit über 50 Jahren ein Motor für Frieden, europäische Einigung und die Verwirklichung der Freiheit?
Du fragst auch nach Vorbildern: Brauchen wir die überhaupt? "Zeugnis der Reife" - heißt das nicht, dass wir dazu in der Lage sind, uns mit unserem eigenen Hirn über unsere eigenen Werte klar zu werden? Und - viel persönlicher: was ist zum Beispiel mit "Freundschaft"?

[C.S.] Äh, Hm...

[D.B.] Selbst wenn Du jetzt all das ablehnst, Schweda - reicht nicht folgendes aus: "Die Würde des Menschen ist unantastbar." Was ist mit der "Würde des Menschen"? Ist das nicht die Basis aller Werte, ja die Basis des Mensch-Seins überhaupt?

[C.S.] Äh, Moment....

[D.B.] Und zum "Mensch-Sein" gehört doch auch, sein eigenes Leben nach seinen eigenen Vorstellungen zu führen. Genau dafür haben wir ja jetzt nach der Schulzeit die Chance. Die Chance, selber die Gesellschaft mitzugestalten. Die Chance, selber in seinem Umfeld die Zukunft zu formen.
Doch dazu muss man sich erst über sich selber klar werden: Welche Ideale bedeuten einem etwas? Gedanken darüber können wir uns ja jetzt darüber machen, denn geistig gesehen - das sagt ja gerade "Reife" aus - haben wir die richtigen Voraussetzungen.
Aber jeder muss den weiteren Prozess für sich alleine schaffen. Vorbilder helfen nicht. Vorgefertigte geistige Strukturen helfen nicht. Vorgefertigte Wertekataloge helfen nicht. Aber - andere Menschen, Eltern, Bekannte, Freunde - die können uns auf diesem Weg helfen.

Kurze Pause

[D.B.] Noch Fragen, Schweda?

[C.S.] Ja, B(r)odo! Warum sind wir eigentlich immer anderer Meinung?

[D.B.] Hm.. Weil du ein Pessimist bist und ich ein Optimist!?!

[C.S.] Weil ich die Dinge sehe, wie sie sind, und Du sie wahrscheinlich etwas blauäugig siehst - das hat man ja gerade in deinem Monolog perfekt sehen können.

[D.B.] Äh, warum?

[C.S.]Weil Du ja offensichtlich einer dieser unverbesserlichen bist, die immer noch an das Gute im Menschen glauben...

[D.B.] Ja, siehst Du denn kein bisschen Gutes mehr im Menschen?

Kurze Pause durch Christian S.

[C.S.] Nein.

[D.B.] kein bisschen? .... kein bisschen???

Dominik B. schmeißt die Paper Christian S. vor die Füße

[C.S.] Nein, kein bisschen!!!

Christian S. schmeißt die Paper Dominik B. vor die Füße

Christian S. von Bühne

Dominik B. am Pult - kurze Pause - selbstsichere Frage ins Publikum

[D.B.] Wirklich kein bisschen?

Dominik B. von Bühne

© Christian Schweda, Dominik Brodowski 2000. Impressum.